Strom aus der Region

  23.09.2022 Wirtschaft

Das Flusskraftwerk Bremgarten-Zufikon liefert seit 1975 Strom

Die Energiekrise dominiert aktuell die Diskussionen – vom Bundeshaus bis hin zum Stammtisch in der Dorfbeiz. Wie sieht die Situation im regionalen Wasserkraftwerk an der Reuss aus?

Walter Minder

Louis Lutz, bei der AEW Energie AG verantwortlich für das Regional-Center Bremgarten und damit auch für die beiden Flusskraftwerke Bremgarten-Zufikon und Bremgarten-Bruggmühle, erinnert an die lange Geschichte der Nutzung der Reuss für die Produktion von Strom. Die Zürcher Unternehmen Escher Wyss, Locher und Maschinenfabrik Oerlikon finanzierten 1883/1884 den Bau eines 70-Meter-Klappenwehrs auf der Höhe der ehemaligen Einsiedelei St. Antonius zu Emaus. Das aufgestaute Wasser wurde durch einen rund 350 Meter langen Stollen quer durch die Zopfhaukurve bis zum Maschinenhaus mit den vier Turbinen geführt, das rund 1300 Meter weiter unten am rechten Reussufer stand. Der Strom wurde von dort über eine 20 Kilometer lange Freileitung nach Zürich transportiert. 1936 übernahm das damalige Aargauische Elektrizitätswerk (AEW) die Anlage; aus Kostengründen wurden die Stromlieferungen nach Zürich zwei Jahre später eingestellt.

Ein jahrelanger Prozess

In den fünfziger Jahren entstanden erste Ideen zur Realisierung einer Anlage, in die über die Stromerzeugung hinaus auch Themen wie Hochwasserschutz, Optimierungen in der Land- und Waldwirtschaft oder Erhaltung der Erholungslandschaft integriert waren. Damit begannen jahrelange Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Interessengruppen. 1969 nahm das Aargauer Stimmvolk das sogenannte Reusstal-Dekret an, Fundament für das heutige Flusskraftwerk Bremgarten-Zufikon. Mit dessen Bau entstand unter anderem der Flachsee, ein einzigartiges Natur- und Vogelschutzreservat von europäischer Bedeutung, wobei sich der Rückstau der Reuss über rund neun Kilometer bis nach Jonen hinauf auswirkt.

Strom für rund 24 000 Haushalte

Beim Rundgang mit Louis Lutz durch das 1975 in Betrieb genommene Kraftwerk interessiert natürlich auch, wie viel Strom an den beiden Standorten in Bremgarten produziert wird. «Insgesamt beträgt die Jahresproduktion rund 107 Mio. kWh. Auf der Basis des durchschnittlichen Verbrauchs einer vierköpfigen Familie von 4500 kWh können damit knapp 24 000 Haushalte während eines Jahres mit Strom versorgt werden. Zum Vergleich: Wohlen zählt rund 7100 Haushalte, Bremgarten rund 3800. Die auf den Gebäuden installierte Photovoltaikanlage produziert jährlich zusätzlich rund 250 000 kWh und damit Strom für etwa 55 Haushalte.

Die beiden Flusskraftwerke der AEW – sie ist zudem an mehreren Anlagen an Aare, Limmat und Rhein beteiligt – sind technisch auf dem aktuellsten Stand. Lutz: «Mit technischen Massnahmen liesse sich bei hohen Investitionen höchstens eine Produktionssteigerung um wenige Prozente erzielen. Ein zusätzliches Flusskraftwerk an der Reuss wäre technisch gesehen allenfalls im Raum Mellingen realisierbar, wobei das Reusstal-Dekret ein derartiges Vorhaben heute nicht zulässt. Für ein solches Projekt wäre natürlich auch eine Vielfalt partikularer Interessen zu berücksichtigen.» Aus seiner Sicht wird die Wasserkraft in der Schweiz schon weitgehend zur Stromproduktion ausgebaut, erschliessbare Kapazitäten sind sehr beschränkt und vor allem auch umstritten.

Es wird laut

Im oberen Quergang durch die rund 135 Meter lange, fünfteilige Talsperre sind wichtige regionale Versorgungsleitungen verlegt, da direkt beim Flusskraftwerk ein Unterwerk die Region mit Strom versorgt. «Das Unterwerk verbindet zwei Spannungsebenen und bildet eine Art Drehscheibe in der regionalen Stromversorgung.» Im unteren Quergang passiert man im Maschinenhaus die beiden beeindruckenden, einigen Lärm verursachenden Rohrturbinenanlagen, mit denen das Wasserkraftwerk ausgerüstet ist. Das Wasser umfliesst mit rund 100 m3 pro Sekunde die 14 Meter langen Turbinen und treibt die am Ende montierten Laufräder an, die einen Durchmesser von 3,8 Meter aufweisen. Bei einer Drehzahl von 150 U/min erbringt jede Maschine rund 10 000 kWh oder 10 Megawatt Nennleistung. Lutz: «Das Kraftwerk ist ausgerichtet auf den Mittelwert von 200 m3 Durchfluss pro Sekunde, wobei diese Menge sehr variieren kann. Im Winter sind es vielleicht 40 bis 50, im Sommer auch mal 300 m3 oder mehr pro Sekunde. Bei Hochwasser könnten wir eine Turbine mehr im Einsatz haben, aber sie würde sonst die meiste Zeit stillstehen.»

Welcher Strom kostet wie viel?

Die verschiedenen Stromquellen geben auch immer wieder bezüglich Wirtschaftlichkeit und Verfügbarkeit zu Diskussionen Anlass. Interessant ist in diesem Zusammenhang ein Vergleich der Gestehungskosten in Rappen pro Kilowattstunde (kWh): Solarenergie bewegt sich zwischen 5 und 10, Wasserkraft- und Kernenergie zwischen 5 und 20 und Windkraftenergie zwischen 10 und 20. Beim Wasserkraftwerk Bremgarten-Zufikon belaufen sich gemäss Lutz die Gestehungskosten zwischen 6 und 8 Rappen pro kWh. Analysiert man die saisonale Aufteilung der Produktionskapazitäten Sommer/Winter, ergibt sich folgendes Bild: Solarenergie Sommer zirka 70/ Winter zirka 30 Prozent, Kernenergie zirka 50/50, Wasserkraftenergie zirka 60/40 und Windkraftenergie zirka 35/65 Prozent. Interessant in diesem Zusammenhang ist – so Lutz – ein anderer Vergleich: 1849 gab es bereits viele Eisenbahnlinien in den Nachbarländern, in der Schweiz noch fast keine. 2022 gibt es rund um die Schweiz viele Windenergieanlagen, in der Schweiz noch fast keine. Und was die Skepsis gegenüber neuen Technologien betrifft, hätten Ärzte vor dem Bau der ersten deutschen Bahnlinie von Nürnberg nach Fürth gewarnt: «Schon der Anblick einer vorbeirasenden Lokomotive kann die schreckliche Krankheit delirium furiosum hervorrufen.»

Strom ist ein Börsenprodukt

Für den Laien ist es kaum nachvollziehbar, warum es in der Region zu so stark unterschiedlichen Preisanstiegen bei den Endkundentarifen 2023 kommt. Lutz: «Strom ist heute ein Handelsprodukt. Der extreme Preisanstieg am Markt bereitet vielen lokalen Energieversorgern Kopfzerbrechen. Auch die AEW Energie AG muss rund die Hälfte des Energieabsatzes am Strommarkt beschaffen. Diese Energie wird jeweils zwei bis drei Jahre im Voraus tranchenweise eingekauft. Die andere Hälfte stammt aus eigenen Kraftwerken und Kraftwerksbeteiligungen, was sich kostendämpfend auswirkt.»

Viele Vorteile, wenige Nachteile

Wasserkraft ist unbestritten eine ökologisch wertvolle Energiequelle. Gibt es aus Sicht des Fachmanns auch negative Aspekte? Lutz: «Flusskraftwerke funktionieren nur mit Talsperren, was einerseits zu einem Rückstau des vom Fluss transportierten Geschiebes führt, andererseits für Fische ein Hindernis darstellt.» Das beim Stauwehr Bremgarten-Zufikon abgelagerte Geschiebe muss alle zwei Jahre ausgebaggert und ein Stück unterhalb von Bremgarten wieder in der Reuss deponiert werden, sodass der Flussgrund im Unterlauf wieder mit Geschmiede befrachtet wird (gesetzlicher Auftrag des Gewässerschutzgesetzes GschG). Und auch die sogenannte Längsvernetzung der Fische im Fluss soll künftig besser funktionieren – ebenfalls ein gesetzlicher Auftrag gemäss GschG. Dafür ist bereits eine neue Fischtreppe geplant, die von der Grösse her auch dem Lachs die «Überwindung» der Talsperre Bremgarten-Zufikon ermöglicht. Ein Bauprojekt im Umfang von rund 10 Millionen Franken ist bewilligt und soll in zwei bis drei Jahren in Angriff genommen werden.

Wie sieht das an der Bünz aus?

Neben dem Kraftwerk hat das Stauwehr Bremgarten-Zufikon eine weitere wichtige Funktion. Es regelt den Wasserlauf sowohl flussabwärts als auch oberhalb des Stauwehrs. Durch die damalige Sanierung des oberen Reusstals und dem Bau der Dämme entlang des Flusses liegt der Wasserspiegel heute höher als vorher. «Seither wird das aus vielen Bächen dem Seitenkanal zufliessende Wasser an zahlreichen Stellen durch Pumpwerke der Reuss zugeführt und so Überschwemmungen des Agrarlandes verhindert.» Diese Pumpstationen werden ebenfalls von Bremgarten aus betreut. Und wie sieht der Unterhalt der beiden Turbinenanlagen aus? Lutz: «Einmal jährlich werden die beiden Turbinen auf Herz und Nieren kontrolliert, wobei sie äusserst robust gebaut sind. Wir rechnen für die Wartung jeweils zwei bis drei Tage, wobei wir selbstverständlich etappenweise vorgehen.»

Und wie wäre es mit einem kleinen Wasserkraftwerk an der Bünz? – Das sei nicht zuletzt eine Frage von Aufwand und Ertrag, es brauche eine regelmässige minimale Durchlaufmenge an Wasser, damit sich die baulichen Massnahmen und die Auswirkungen auf die Uferlandschaft rechtfertigen würden.


Spannender Zeitzeuge

Das alte Kraftwerk Bruggmühle direkt unterhalb der Bremgarter Holzbrücke ist ein Zeitzeuge der damaligen Industrialisierung des Reusstals. Mit Wasserturbinen wurde hier ab 1892 Strom erzeugt für die Beleuchtung und die Wasserversorgung der Stadt sowie ab 1902 für den Betrieb der Bremgarten-Dietikon-Bahn. 1927 übernahm die AEW das kleine Kraftwerk, das 1998 stillgelegt wurde.

Das vom Verein Museum Reusskraftwerk betreute historische Bijou beherbergt eine spannende Ausstellung unter dem Motto «Von der Mühle zum Kraftwerk» und kann nach telefonischer Vereinbarung kostenlos besucht werden. Zusätzlich kann ein Saal für maximal 60 Personen gemietet werden.

Anmeldung für die Besichtigung des Museums wie auch der beiden Flusskraftwerke siehe www.aew. ch/besichtigung.


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