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31.07.2020 KelleramtSommerserie «Liebling auf Rädern»: Rolf Stutz hat eine innige Beziehung zu seinem Saurer-Postauto
Das gelbe Postauto ist nur sieben Jahre jünger als sein Halter. Über 45 Jahre lang war es sein einziger Oldtimer. Für Rolf Stutz aus Oberlunkhofen hat es bis heute eine ganz spezielle Bedeutung.
Roger Wetli
«Ich durfte bei seiner Auslieferung nach Zürich mit», erinnert sich der heute 69-jährige Rolf Stutz. Das war 1958. Für den Buben ein besonderes Erlebnis. Sein Onkel führte damals seit acht Jahren ein Postautounternehmen in Oberlunkhofen. Der Saurer wurde in Arbon und Zürich hergestellt und ist ein echt schweizerisches Fahrzeug. Und es ist das einzige Fahrzeug aus den Anfangstagen, das die Familie Stutz heute noch besitzt. «Wir hängen deshalb sehr an ihm», erklärt Rolf Stutz. Die fünf Oldtimer-Fahrzeuge kamen erst in den letzten zehn Jahren zu seiner Sammlung. Auch die beiden weiteren Postautos erstand er erst in dieser Zeit. Das letzte kaufte er vor ungefähr einem Jahr, um es zu restaurieren.
Noch zwei Jahre im regulären Betrieb
Für das Treffen stellt Rolf Stutz seinen ganzen Besitz auf den Platz vor der ehemaligen Postautogarage in Oberlunkhofen in Richtung Arni. Das entlockt den Vorbeifahrenden ein breites Lächeln. Ein paar halten gar an und schlendern bewundernd und behutsam um diese aussergewöhnliche Fahrzeugsammlung. Zu jedem dieser Unikate hätte Rolf Stutz etwas zu erzählen. Für diese Sommerserie soll aber ein einziges im Zentrum stehen. Die Wahl fällt natürlich auf das alte Familienmitglied.
Rolf Stutz lernte in Bremgarten in der Garage Rauch Automechaniker. Diese stand dort, wo heute die Neue Aargauer Bank ist. Danach arbeitete er drei Jahre lang an Lastwagen.
«1973 wurde ich als Chauffeur und Mechaniker bei meinem Onkel angestellt. Mit diesem Saurer-Postauto habe ich noch reguläre Linienfahrten absolviert», erinnert er sich. Nach zwei Jahren wurde das Fahrzeug ausgemustert und ersetzt. «Damals erhielten wir vermehrt Anfragen für Sonderfahrten im Oldtimer. Also haben wir den Saurer komplett saniert», so Stutz. «Das konnte ich manchmal während der regulären Arbeitszeit tun. Es gab mal Fenster, an denen ich zwei Tage am Stück am Saurer arbeiten konnte. Das wäre heute nicht mehr möglich.»
Sobald das Postauto saniert war, fuhren sie damit Kunden für besondere Anlässe wie zum Beispiel Hochzeiten. «Es ging nie darum, damit Geld zu verdienen. Die Einnahmen decken gerade mal die Einlösung des Fahrzeuges. Die Freude am Anblick des Saurers und am Mitfahren standen und stehen bei uns im Zentrum», erklärt er.
Schwierige Trennung
Als 1978 sein Onkel mit 58 Jahren überraschend verstarb, übernahm Rolf Stutz das Familienunternehmen. «Er lebte bei uns ledig und kinderlos. Damals hatten wir im regulären Betrieb zehn Postautos.» Heute sind es 38. Der Betrieb wird mittlerweile durch seine beiden Söhne Patrick und Stefan geführt. «Patrick ist als Leiter der Reparaturwerkstatt und des Fahrzeugparks ebenfalls stark an den alten Fahrzeugen interessiert. Er legt manchmal mit mir Hand an», freut sich sein Vater. Die heutigen Postautos müssen nach 14 Jahren im Betrieb oder 900 000 Kilometern ersetzt werden. «Das macht durchschnittlich pro Jahr vier», rechnet Rolf Stutz vor. «Behalten haben wir in den 69 Jahren Unternehmensgeschichte aber bisher nur den Saurer. Aus wirtschaftlicher Sicht ergibt das Sinn, trotzdem blutet manchmal das Herz, wenn wir uns von einem besonders schönen Fahrzeug trennen müssen.»
Robust gebaut
Rolf Stutz schätzt an seinem Saurer, dass er noch sehr einfach gebaut ist. Er besitzt zwar bereits elektrische Türen, ansonsten ist aber das meiste noch mechanisch. «Das Postauto ist sehr robust», ist er stolz. Mit 930 000 Kilometern habe es für seine Art bereits weite Strecken zurückgelegt. Früher seien die Strecken weniger lang gewesen, und man sei weniger oft pro Tag gefahren. Mit seinen 120 PS schafft es der Saurer auf maximal 70 Kilometer pro Stunde. «In der Regel bin ich aber mit etwa 60 Kilometern pro Stunde unterwegs.» Als Oldtimer dürfe der Saurer jährlich nicht mehr als 3000 Kilometer zurücklegen. Das sei aber sowieso höchst selten der Fall. «Ich bewege all meine Fahrzeuge regelmässig», betont Rolf Stutz. «Für kleine Ausflüge lade ich zum Teil spontan Kollegen ein.»
Allzu weit geht es dabei aber nicht. Eine Anfrage für eine Fahrt nach St. Moritz habe er abgelehnt. «Das Kuppeln geht sehr streng. Und bei den vielen Kreiseln müsste ich sehr oft runterschalten. Zudem besitzt der Saurer keine Lenkhilfe. Ich wäre abends total fertig», so Stutz. Fahrten in den Schwarzwald oder ins Allgäu lägen aber drin. Eines der schönsten Erlebnisse mit dem Saurer hatte Rolf Stutz im Rahmen der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels. Das Schweizer Fernsehen filmte ihn damals, wie er mit einer Thuner Brassband über die Tremolastrasse fuhr. Die Band spielte dazu live im Bus «Über de Gotthard flüged d Bräme». «Es war ein einmaliges Erlebnis», schwärmt er.
Jedes ein Traum
Rolf Stutz legt grossen Wert darauf, dass seine Oldtimer vor Witterung geschützt sind. Die ehemalige Postautogarage in Oberlunkhofen bietet dazu ideale Bedingungen. «Es tut mir weh, wenn ich solche Fahrzeuge dauerhaft draussen stehen sehe.» Seine Auto- und Postautosammlung sei jetzt am Limit. Weitere möchte er deshalb nicht mehr kaufen. Sollten auf den Strassen des Kelleramtes mal drei alte Postautos hintereinander auftauchen, handelt es sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um die drei Wagen von Rolf Stutz. «Ich geniesse jetzt die Fahrzeuge. Jedes ist ein Traum für sich. Ich kümmere mich gerne um sie. Besonders natürlich um den Saurer als ältestes Fahrzeug, das immer in unserer Familie gewesen ist.»