«Kein Grund zum Alarmismus»

  23.09.2022 Wirtschaft

Peter Lehmann, Vorsitzender der ibw-Geschäftsleitung, zur allgemeinen Energiekrise

Strom und Gas werden knapp im Winter. Die Tarife steigen stetig. Die Energiekrise ist allseits präsent. Der ibw-Geschäftsleiter hat auch schon von «medialer Angstmacherei» gesprochen. Viele Unbekannte spielen eine Rolle. Lehmann rät allerdings, «sich Gedanken zu machen über die eigene Energieeffizienz».

Daniel Marti

Die drohende Stromknappheit im Winter ist ein Dauerthema. Wie gross ist die Chance oder die Befürchtung, dass uns im Einzugsgebiet der ibw tatsächlich Stromunterbrüche drohen?

Peter Lehmann: Die Wahrscheinlichkeit einer Strommangellage zum jetzigen Zeitpunkt genauer beziffern zu wollen, wäre schlicht unseriös. Zu viele Unbekannte spielen hier eine Rolle: Wie lange dauert der Krieg in der Ukraine noch an? Wie viel Gas – das ja auch zur Stromproduktion benötigt wird – wird Russland liefern? Kommt die Gaseinspeicherung weiterhin voran? Wie viele Kernkraftwerke bleiben in Frankreich am Netz? Wie wirken die Sparappelle an die Bevölkerung?

Und wie sieht es bei der ibw aus?

Die ibw sieht weiterhin keinen Grund zum Alarmismus. Sich aber Gedanken zu machen über die eigene Energieeffizienz, erachten wir auf jeden Fall als sinnvoll. Insofern zielt der Slogan der Energiesparkampagne des Bundes – «Energie ist knapp. Verschwenden wir sie nicht.» – in die richtige Richtung. Die ibw hofft denn auch darauf, dass alle Beteiligten – von den politisch Verantwortlichen über die Energiebranche bis hin zu jedem und jeder Einzelnen – die Situation ernst nehmen und alles in Rahmen ihrer Möglichkeiten Stehende tun, damit die befürchtete Mangellage ausbleibt. Sollte dennoch eine Mangellage eintreffen, heisst dies noch nicht automatisch, dass es auch zu Stromunterbrüchen kommt. Netzabschaltungen sind die Ultima Ratio, die erst eingesetzt wird, wenn alle anderen Massnahmen – Verbrauchseinschränkungen, Kontingentierungen – zuvor nicht greifen.

Wie wäre oder ist die ibw auf ein solches Ereignis vorbereitet?

Die ibw hat schon vor einigen Monaten eine Taskforce eingerichtet, um die erforderlichen Vorbereitungsmassnahmen zu identifizieren. Diese reichen von rein technischen Vorkehrungen über Kommunikationsmassnahmen bis hin zur Personalplanung im Fall einer Mangellage. Dabei beschränkt sich die ibw übrigens nicht nur auf mögliche Strom- und Gasmangellagen, sondern bezieht auch die Versorgungssicherheit mit Trinkwasser in ihre Überlegungen mit ein. Denn um das Wasser von der Grundwasserfassung Hard II bei Niederlenz nach Wohlen zu bringen, werden Pumpen benötigt, die ebenfalls mit Strom arbeiten. Auch hier sind wir mit unseren Partnern in Kontakt – und überprüfen gleichzeitig laufend unsere Notwasserversorgung über das bestehende Quellsystem.

Ähnlich sieht es beim Gas aus. Sind die Gasbezüge in den Wintermonaten gesichert?

Die ibw hat genügend Gas für die kommende Heizsaison bestellt. Über unsere Vorlieferantin, die Gasverbund Mittelland AG, haben wir uns zudem an einem grenznahen Gasspeicher in Frankreich beteiligt. Wir sind zuversichtlich, dass alle Verträge eingehalten werden – aber es ist natürlich nicht völlig auszuschliessen, dass das bestellte Gas letztlich doch nicht in die Schweiz geliefert wird und/oder die hiesigen Behörden im nationalen Interesse Bezugsbeschränkungen verfügen.

Was raten Sie den Privathaushalten und den Firmen, die Gas beziehen, damit alle gut durch die nächsten Herbst- und Wintermonate kommen?

Die aktuelle Situation ist eine optimale Gelegenheit, sich Gedanken über den eigenen Energiebezug zu machen und nach Einsparmöglichkeiten zu suchen. Allein schon die Reduktion der Raumtemperatur um ein Grad senkt die benötigte Heizenergie um rund sechs Prozent.

Momentan hält ein Trend an: Gas wird durch Wärmepumpen ersetzt. So gibt es für die Kundschaft keine Abhängigkeiten. Ist das auch aus ibw-Sicht der einzig richtige Weg?

Wir können alle Kundinnen und Kunden verstehen, die nun auf Wärmepumpen umstellen. Im Moment sind einfach die Wartezeiten sehr lang. Welches Heizsystem für einen Haushalt letztlich ideal ist, sollte im Einzelfall anhand der Ökobilanz beurteilt werden. Oft ist auch ein Zusammenschluss innerhalb eines Quartiers, etwa mit einem Wärmeverbund, sinnvoll. Durch den Ersatz fossiler Heizungen durch Wärmepumpen wird der Strombedarf im Winter weiter wachsen. Dies führt zu einer steigenden Abhängigkeit vom Ausland, mindestens so lange, bis wir in der Schweiz genügend Produktionskapazitäten für Wasser-, Windund Sonnenenergie haben.

Aber so wird die ibw bald weniger Gas verkaufen. Ist das ein kurzfristiges Problem für das Unternehmen?

Die ibw ist ein breit aufgestelltes Dienstleistungsunternehmen und nicht allein vom Verkaufserfolg bei Gas abhängig, auch wenn dieser natürlich einen wichtigen Teil des jährlichen Umsatzes einnimmt. Es ist jedoch ein allgemeiner Trend in der Energiebranche, dass die Gewinnmargen schwinden – wir versuchen dies mit einem stetigen Ausbau unserer Geschäftsfelder wettzumachen.

Allgemein wird geraten, sich weg vom Gas zu bewegen. So fallen die Abhängigkeiten (Krieg in der Ukraine) und die hohen Tarife weg und die Umwelt wird weniger belastet. Sind hier alle Kunden konsequent, würde für die ibw irgendwann ein ganzer Betriebszweig wegfallen. Gibt es hier strategisch gesehen einen Ersatz, beispielsweise Verstärkung der Bestrebungen rund um die Solarenergie?

Wie bereits erwähnt, ist die ibw ein breit aufgestelltes Unternehmen, das seine Dienstleistungen in über 20 anderen Gemeinden anbietet. Wir sind regional stark im Ausbau der Solarenergie und in der Infrastruktur für E-Mobilität. Auch haben wir den Schritt in die digitale Energieversorgung von morgen bereits gemacht und gehören damit schweizweit zu den Pionieren. Im Übrigen wird die Umwelt nur dann weniger belastet, wenn der bezogene Strom auch nachhaltig produziert wird. Im Winter ist dies infolge der Abhängigkeit vom Ausland noch nicht der Fall.

Stichwort Solarenergie. Die ibw ist hier sehr gut unterwegs. Was kann man in diesem Bereich verstärken und verbessern?

In Wohlen sind heute schon pro Einwohnerin, pro Einwohner 0,6 Kilowatt Photovoltaikleistung installiert
– im nationalen Vergleich ein sehr hoher Wert. Es geht also eher darum, den bisher eingeschlagenen Weg fortzusetzen. Dies erreichen wir einerseits, indem wir weitere grosse PV-Anlagen bauen, wie etwa auf dem neuen Parkhaus der Ferrowohlen AG oder auf dem Dach des künftigen Schulzentrums Halde, und uns andererseits als kompetenter Dienstleister rund um das Thema Solaranlagen für Private behaupten – mit einem Rundumservice, der unter anderem auch Speicherangebote und Ladestationen umfasst und die Autarkie der Kundinnen und Kunden und damit auch von Wohlen weiter fördert.

Informationen zum Thema Mangellagen: www.ibw.ag/mangellage. – Energiespartipps: www.ibw.ag/spartipps.


EDITORIAL

Der Kampf um die Energie

Energie hat man einfach. Energie steht stets zur Verfügung. Auf Knopfdruck. Auf Bestellung. Immer. Zu jeder Jahreszeit. Und kosten tut sie auch nicht ganz so viel. Energierechnungen gehören zum Leben, aber sie sind überschaubar und bezahlbar. Dieser Zustand war seit Jahrzehnten pure Normalität.

Das Wohnzimmer ist geheizt, wohlig und bequem konnte man sich einrichten. Die Strassen sind beleuchtet und garantieren nicht nur Licht, sondern auch Sicherheit. Die Wirtschaft brummt, angetrieben von ganz viel Strom. Auch das war selbstverständlich. Stets war genug da, und praktisch niemand klagte über hohe Tarife. Vor einem Jahr deutete es sich mit den steigenden Gaspreisen erstmals an, dass eine Zeitenwende bevorsteht.

Tarife von Strom und Gas schiessen weiter in die Höhe. Nun droht auch noch die Ausnahmesituation, dass von der Energie zu wenig vorhanden sein könnte. Zu wenig Gas, zu wenig Strom könnte den bevorstehenden Winter zur Leidenszeit werden lassen. Mittlerweile tagt der Nationalrat diese Woche für eine Monster-Energiedebatte. Drohende Energieengpässe führen zu heissen Diskussionen. Und sollten verhindert und behoben werden.

Darum haben wir die Energiekrise zum Thema gemacht in diesen Extra-Wirtschafts-Seiten. «Wie schlimm ist die gegenwärtige Situation tatsächlich?», wollten wir wissen. Medial wird vieles dramatisiert. Aber wie präsentiert sich die Situation draussen im Freiamt tatsächlich?

Weg vom Gas, weg vom Öl. Hin zu Wärmepumpen. Diese erleben gegenwärtig einen wahren Boom. Die Absatzsteigerung liegt bei rund 50 Prozent. Tendenz steigend. Die Umsetzung benötigt jedoch Zeit. Von der Planung bis zur Realisation dauert es so rund ein halbes Jahr. Auch Holz ist eine gute Alternative. Die Nachfrage ist aktuell recht gross. Aber mit Cheminée-Holz kann man kein Haus heizen.

Verlässlich ist in der Regel die Wasserkraft. Unmittelbar vor der Haustür gibt es das Flusskraftwerk in Bremgarten, es liefert Strom für 24 000 Haushalte. Also enorm viel. Wenn schon Stromknappheit herrscht: Warum nicht ein zweites bauen im Reusstal? Das lässt das Reusstal-Dekret gar nicht zu. Warum nicht bei der benachbarten Bünz ein Flusskraftwerk realisieren? Es braucht eine minimale Durchlaufmenge an Wasser, damit die Auswirkungen (Finanzen und Landschaft) gerechtfertigt sind. Und ein Ausbau eines bestehenden Flusskraftwerkes führt nur zu einer kleinen Steigerung bei der Stromerzeugung.

Wie geht es bei der Solarenergie im Freiamt vorwärts? Nicht überall gleich. Die Region um Wohlen ist top. Die IB Wohlen AG ist seit 30 Jahren im Geschäft mit der Sonne. 1992 realisierte sie die erste Kleinsonnenenergieanlage. Bis ins Jahr 2020 wollte sie den Anteil der neuen erneuerbaren Energien am Strommix auf 20 Prozent gesteigert haben. Ziel erreicht. Wohlen kann sich im nationalen Vergleich sehen lassen. Der Rest des Freiamts dagegen eher nicht. Das Potenzial sei im Freiamt gross, sagt der Fachmann aus Muri. Die Dächer werden aber nur bescheiden genutzt.

Zum Schluss noch zur Windenergie Diese Stromerzeugung weist eine sehr gute Ökobilanz auf. Das ändert nichts daran, dass das Projekt auf dem Lindenberg mit starker Opposition zu kämpfen hat. Die drei projektierten Anlagen würden Strom für 5600 Haushalte liefern. Mitten in der Energiekrise eine beeindruckende Zahl.

Daniel Marti, Chefredaktor


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