Einfach pure Freude am Leben
09.02.2021 WohlenAlice Räber kann morgen Mittwoch, 10. Februar, ihren 100. Geburtstag feiern
Ihre positive Lebenseinstellung ist prägend. Und fast schon ansteckend. Rund um Alice Räber herrscht immer gute Stimmung. Morgen erst recht. Denn den 100. Geburtstag wird sie mit viel Freude feiern. Und mit einem feinen Rotwein, denn der hält sie gesund.
Daniel Marti
Sie ist wahrlich ein Sonnenschein, rundum wird sie geschätzt. Wenn Alice Räber daran denkt, dass sie morgen Mittwoch 100 Jahre alt wird, dann strahlt sie. Und sie freut sich auf die Feierlichkeiten im kleinen Rahmen. Ihre drei Kinder haben für die Besucher kurze Zeitfenster unter freiem Himmel organisiert, denn ein Besuch bei Alice Räber ist ein Erlebnis. Bekannte und Verwandtschaft freuen sich ebenfalls auf die Begegnung mit der Hundertjährigen. «Ich habe Freude am Leben», nennt sie einen Grund für ihr Alter. Sie habe stets eine positive Einstellung, fügt sie noch an, «und ich mache mir keine Sorgen über das Weltgeschehen». Recht hat sie.
Und Alice Räber macht auch kein Geheimnis daraus: Der 100. Geburtstag, das ist ein erklärtes Ziel. Mit 90 habe sie das so formuliert und mit 99 bekräftigt, bestätigen ihre Kinder, die bei der Kommunikation behilflich sind. Denn das Gehör ist bei der Jubilarin stark geschwächt. Dafür hat Alice Räber im Pensionsalter noch gelernt, von den Lippen abzulesen. Bemerkenswert.
Nie viel, aber stets genug zum Teilen
Den Rollator benötigt sie seit zwei Jahren. Das macht einiges einfacher, obwohl sie immer noch recht gut zu Fuss unterwegs ist. Täglich ist sie bis zu zwei Stunden unterwegs und das bei jedem Wetter, ausser bei Schnee und Glatteis. Einkaufen im Coop oder beim «Basch» – das macht sie immer noch sehr gerne. Und immer selbstständig. Sie hat noch nie den Ortsbus vor der Haustür genommen und die Hitze im Sommer hält sie nicht vom Spaziergang ab.
Gewiss, Pflege und Mittagsdienst schauen regelmässig vorbei. Aber Alice Räber hat immer etwas zu tun, ihr wird es nie langweilig. Zu ihrem grossen Garten schaute sie bis vor einigen Jahren selber, darauf ist sie stolz. Die Jassrunde im Kollegenkreis findet jede zweite Woche statt. Inklusive einer Flasche Rotwein. Alice Räber geniesst ihre unbeschwerten und sorgenfreien Tage.
Und die Hundertjährige lebte stets nach einem Grundsatz: Sie hatte nie viel im Leben, aber immer genug zum Teilen. Diese Philosophie vertrat sie auch, als sie von einem Filmteam des Stapferhauses Lenzburg besucht und zum Ausstellungsthema Geld befragt wurde. Sie habe schon als Kind gelernt, mit einfachen Mitteln auszukommen. «Das hat mich für das ganze Leben geprägt», sagte sie damals. Sie sei nie versessen gewesen aufs Geld, «denn man muss auch ab und zu den anderen, die noch weniger haben, etwas davon geben». Und sowieso, Alice Räber hat die Menschen nie nach dem Geld beurteilt oder bewertet, «ich schaue viel lieber auf den Charakter».
Ihr Mann, der FCW-Torhüter
Aufgewachsen ist sie in Büttikon. Sie war die Älteste von drei Kindern einer Bauernfamilie. Der Vater Förster. Ihm hat sie oft im Wald geholfen. Und dafür ein paar «Batzen» bekommen. Auch die Jugendzeit verbrachte sie im kleinen Dorf, es folgte ein Haushaltlehrjahr in einer Bäckerei in Dietikon, dann die Anstellung in der Drogerie am Postplatz in Wohlen. Und dort lernte sie ihren Mann Albert «Bärt» Räber kennen. Das Ehepaar lebte sieben Jahre beim Postplatz, dann zügelte es in ein Haus im «Boll»-Quartier, das es dann im Jahr 1967 kaufen konnte. «Ohne Bürgschaft, ohne Hypothek», wie sie jeweils zu sagen pflegt. Für dieses Haus hat das junge Ehepaar fleissig gespart.
In Wohlen fühlten sich die Räbers immer wohl und sofort integriert. Sie, die Büttikerin. Er, der Benzenschwiler. Ein Paar fürs Leben mit Wohlen als Mittelpunkt. Das Gemeinschaftliche, das alte Wohlen und die Kulturszene habe sie stets sehr geschätzt, fast jeder kannte jeden, erklärt Alice Räber, «und das ist heute noch spürbar».
Ihr Mann Albert Räber rückte ein wenig stärker in den Mittelpunkt. Was ihr aber sehr recht war. «Bärt», man kannte ihn im Dorf, er war der unerschrockene Torhüter des FC Wohlen, er war Mitglied im Männerchor, bei der Feuerwehr und bei der Kammergesellschaft sowie ein ausgezeichneter Schütze. Räber war langjähriger Präsident der Schützengesellschaft Wohlen.
Sie mag Fussball über alles und Roger Federer
Durch ihren Mann ist Alice Räber zum grossen Fussballfan geworden. Sie weiss alles über die Schweizer Nationalmannschaft, sie lässt kaum ein Spiel aus am TV. Sie kennt Spieler, Trainer, Prominente, die Favoritenrollen. Bis weit über die Landesgrenzen hinaus. Ein Beweis gefällig? Vor knapp fünf Jahren war auch Marcel Koller Gast an einer Geburtstagsfeier im Chappelehof, er stand kurz vor seinem Antritt als Trainer der österreichischen Nationalmannschaft. Die Freude war riesig, als sich Koller neben Alice Räber setzte. «Da waren alle neidisch, dass er mein Tischnachbar war», blickt sie voller Freude zurück. Und Marcel Koller (ehemals Grasshopper Club und Basel) habe nur gestaunt, was die rüstige Rentnerin alles über Fussball und seine Teams wusste.
Fussball kennt bei Alice Räber nur eine Steigerung. Und die heisst Roger Federer. Den Schweizer Tennis-Superstar verehrt sie einfach. Und wenn es irgendwie geht, sitzt sie vor dem Fernseher, wenn Roger Federer auf dem Tenniscourt seine Künste zum Besten gibt.
Fast verloren in Kapstadt und eine Begegnung im Spital
Die Begegnung mit Marcel Koller bleibt jedoch unvergessen. Sie, die wenig reiste, unternahm zwei Auslandreisen. Afrika und England. In Cambridge besuchte sie ihre Tochter Ruth, zusammen mit den Kolleginnen Trudi Dubler und Gritli Pfründer. Und dann ging es noch nach Südafrika. Anfang der 70er-Jahre. Verwandtenbesuch zusammen mit ihrem Mann «Bärt» bei ihrem Schwager Paul und Schwägerin Blanca. Beim Umsteigen auf dem Flughafen in Johannesburg passierte es: Plötzlich war ihr «Bärt» weg. Sie alleine, kein Wort Englisch, ohne Ausweis, ohne Geld. «Bärt» hatte alles in seinem Hosensack. Sie blieb da stehen, wo sie ihn verloren hatte. Sie fanden sich wieder. «Seit diesem Erlebnis hatte ich immer mein eigenes Geld und meinen Ausweis dabei.»
Und noch ein Ereignis war speziell, einfach unvergesslich. Fünf Tage vor der Geburt ihrer Tochter Ruth wurde «Bärt» von einem Spiel mit dem FC Wohlen mit doppeltem Beinbruch ins Spital Muri eingeliefert. «Die zwei älteren Brüder Peter und Albert Bärti wurden von den Grosseltern in Büttikon gehütet, bis ich mit dem Säugling wieder zu Hause war», erinnert sie sich, «mein Mann musste noch weitere vier Wochen im Spital bleiben.» Alice Räber schmunzelt, wenn sie diese Geschichte erzählt.
Ähnlich strahlt sie jetzt, vor ihrem 100. Geburtstag. Sie ist wunschlos zufrieden. Drei Kinder, drei Grosskinder, drei Urgrosskinder. Alle lieben ihr «Mueti, Grossmuetti und Utzimutzi». Und sie alle schätzen so viel an der Jubilarin: das gute Herz, die Grosszügigkeit, ihren Sinn für Gerechtigkeit, ihr positives Denken, ihre Geschichten aus den alten Zeiten und ihren unschlagbaren Humor. Morgen Mittwoch ist der grosse Tag. «Ich werde mich nicht verstellen. Sondern so sein wie immer», versichert sie. Immer lustig und freundlich sein – dies hat Alice Räber von ihrem Vater gelernt und dies wurde auch zu ihrem Lebensmotto. «Ich werde diesen Tag geniessen», sagt sie voller Vorfreude.