Der Wundermensch

  28.03.2025 Sport, Fussball

Jürg Mauberger vom FC Mutschellen kämpft seit Jahren mit dem Krebs – und erträgt es mit beeindruckender Art

Hoden, Lymphdrüsen, Speiseröhre – der Krebs hat den Körper von Jürg Mauberger schon oft heimgesucht und sein Leben bedroht. Während andere Menschen verzweifeln würden, sieht Jürg Mauberger das Positive: «Für mich ist es nicht so tragisch», sagt der 60-Jährige und konzentriert sich viel lieber auf die Familie und den Fussball. Seine Einstellung zum Leben ist erstaunlich – und er wird von allen Seiten bewundert.

Stefan Sprenger

«Wieso trifft es ausgerechnet mich?» Diese Frage hat er sich nie gestellt. «Es ist einfach so, wie es ist», meint Jürg Mauberger und sitzt seelenruhig am Esstisch in seinem Zuhause in Zufikon. «Jeder Mensch hat Krebszellen. Und wenn man Pech hat, erwischt es einen.» Er selbst hat «null Faktoren», die den Krebs begünstigen würden. «Ich bin nicht gestresst, ich habe nie geraucht und auch kaum Alkohol getrunken.» Er ist gar ein überaus sportlicher Typ. Und doch hat es ihn erwischt. Mehrmals. Die letzte Schockdiagnose ist erst einige Monate alt. Die Vermutung: Lungenkrebs.

Auf dem Weg zum Profifussballer

Jürg Mauberger ist in Zürich aufgewachsen, «Kreis 4», wie er anfügt. Schon früh beginnt er mit dem Fussball, spielt im Nachwuchs des FC Turicum, später bei den Grasshoppers. Er ist gar auf dem Weg, Profifussballer zu werden. Im Alter von 20 Jahren wird bei ihm Morbus Bechterew diagnostiziert, eine Wirbelsäulenerkrankung. Der Traum vom Profifussball platzt. Ist er heute unglücklich darüber? Mauberger lächelt: «Nein. Wenn das nicht passiert wäre und ich Profifussballer geworden wäre, dann hätte ich meine Frau nicht kennengelernt.» Susanna ist sein «Seelenmensch», wie er sagt. Mit ihr hat er zwei Kinder, 1992 wurde Alessia geboren, 1994 Aljosha. Sie sitzt daneben und kann für einen kurzen Moment lächeln, als er sagt: «Ich liebe meine Familie über alles.»

Der 60-Jährige fährt mit seiner Hand über das Schlüsselbein und zeigt den Portkatheter. Ein Zugang direkt in die Vene. Menschen, die regelmässig Chemotherapie machen müssen, kriegen vorübergehend einen solchen Port implantiert. Der Zugang ist so gross wie ein Ping-Pong-Ball und drückt aus der Haut hervor. «Ach, daran habe ich mich gewöhnt», sagt Mauberger.

Chemo, OP, Intensivstation

Er und der Krebs, sie kennen sich viel zu gut. Mit 40 Jahren erhält er die Diagnose Hodenkrebs. Mit 42 Jahren ist es Lymphdrüsenkrebs. «Dann hatte ich 18 Jahre lang Ruhe.» Dann, im Frühling 2023, spürt er, dass etwas nicht stimmt. «Ich kriegte kaum noch Essen runter», sagt er. Im Mai 2023 folgt die erneute Schockdiagnose. Speiseröhrenkrebs. Nach zwei Monaten Chemotherapie folgt im August eine sechsstündige Operation, er landet auf der Intensivstation. Sein Magen (der auch vom Krebs befallen war) und die Speiseröhre wurden verkürzt und miteinander verbunden. Im Herbst folgen weitere zwei Monate Chemotherapie. Er verliert fast 20 Kilogramm Gewicht.

«Nimm mir eines davon weg und ich habe ein Problem»

Zudem erhält er eine weitere Diagnose: Polyneuropathie. Die Nerven in seinem Körper funktionieren nicht mehr richtig. Die Folge war auch eine Überempfindlichkeit gegenüber Temperaturen. «Warme Dinge fühlten sich superheiss an», beschreibt er. Auch seine Konzentrationsfähigkeit litt. Deshalb verzichtete er aus Sicherheitsgründen für acht Monate auf das Autofahren. Auch seinem Job als Buchhalter bei Canon – den er mit Leidenschaft ausübt – konnte er eine Zeit lang nur begrenzt nachgehen. Die Polyneuropathie kann unter anderem ausgelöst werden durch Medikamente – oder auch Krebs. Was es war? «Spielt keine Rolle.» Wie es war? «Es hat mein Leben eingeschränkt. Auch mein sportliches Leben.» Man spürt: Das nervte ihn.

Denn der Sport ist ihm wichtig. «Familie. Job. Fussball. Nimm mir eines davon weg und ich habe ein Problem», sagt Mauberger. Ein Datum wird er nie vergessen: 13. Juli 2016. «An diesem Tag bin ich beim FC Mutschellen gelandet», erklärt er mit fröhlichem Gesichtsausdruck. Mauberger, der mit seiner Familie seit 1998 in Zufikon wohnt, war vorher beim Team Reuss und dem FC Niederwil tätig. Gino Saporito, Legendentrainer in Niederwil, sagt über Mauberger: «Vertrauen und Ehrlichkeit sind ihm wichtig. Er arbeitet sehr zielorientiert. Jürg lebt für den Fussball und ist ein Vorbild für Gross und Klein.»

2016 kommt er über Jürg Fehr, einen Freund und damaliges Vorstandsmitglied des FC Mutschellen, auf die Burkertsmatt. Er ist Goalie-Trainer, Coach der A-Junioren und trainiert schliesslich einige Spieler individuell. Es ging schnell und er hatte bereits 2017 Beziehungen in die erste Mannschaft. Und Mauberger überzeugt. Mit seinem Fachwissen, seinem Einsatz und seiner feinen menschlichen Art.

Piu, Colacino, Iodice: Alle sind voll des Lobes

Der damalige Mutschellen-Trainer hiess Piu (heute beim FC Wohlen) und holte Mauberger endgültig ins Boot der ersten Mannschaft. Piu sagt: «Ein superlässiger Typ. Menschlich sehr wertvoll. Und er hat Spieler nach vorn gebracht.» Seit 2017 ist Mauberger Co-Trainer und arbeitete auch individuell mit den Spielern, wenn sie es wünschten.

Er erlebte (und prägte) die Glanzzeiten des FC Mutschellen, mit Aufstieg und Cupsieg unter Trainer Sergio Colacino, den er als guten Freund bezeichnet. Colacino sagt: «Er war für mich sehr wertvoll, er war immer präsent, hat mir vieles abgenommen und stets mitgedacht. Ein unglaublicher Mensch.» Als Colacino 2022 zu Wettswil-Bonstetten in die 1. Liga geht, will er Mauberger mitnehmen. «Er wollte nicht. Er blieb Mutschellen treu. Das sagt alles», so Colacino weiter. Bis heute ist Mauberger als Co-Trainer auf der Burkertsmatt tätig. Auch Luca Iodice, der letzte Saison Trainer der Mutscheller war, sagt: «Dieser Mensch ist einfach toll und für die Mannschaft aus ganz vielen Gründen sehr wichtig.»

«Das ist für mich schlimmer als jede Krebsdiagnose»

Die Zeit nach der Diagnose Speiseröhrenkrebs im Jahr 2023 war heftig. Doch Jürg Mauberger hat es überstanden, den Krebs besiegt. Aber nur für eine kurze Zeit. Schon im November 2024 folgt der nächste Schock. Lungenkrebs, links und rechts. Zucker und Radioaktives Mittel wurden ihm verabreicht, um zu erkennen, wo es Krebszellen haben könnte. «Es könnte auch mehrere Metastasen geben», sagt er. Das Gespräch mit ihm findet Anfang Februar statt, damals sagte er: «Mein Gefühl sagt, es wird so sein. Mein Körper kämpft. Ich spüre, dass Metastasen da sind und es wieder zu Chemotherapien führen wird.»

Seine Frau Susanna, mit der er seit bald 35 Jahren verheiratet ist, sitzt daneben und schaut regungslos auf den Tisch. Jürg Mauberger erzählt diese Dinge mit einer beeindruckenden Gelassenheit, als würde es jemand anderen angehen. «Zu sehen, wie meine Familie leidet, ist für mich schlimmer als jede Krebsdiagnose», sagt er.

Susanna Mauberger hört diese Worte und zuckt zusammen. Sie könne nur schwer mit der Situation umgehen. «Die Angst, ihn zu verlieren, ist gross.» Die Tränen drücken. Und jetzt ist der Moment, wo auch Jürg Mauberger emotional wird und meint: «Es ist sehr belastend für sie. Und das belastet mich.»

In ein paar Tagen erhält Jürg Mauberger den genauen Befund seiner Lungenkrebsdiagnose. «Ich nehme es sportlich», sagt er. Er ist überzeugt, dass alles gut kommen wird. Eine Blutwäsche und eine Stammzellen-Therapie – beides aufwendige Verfahren – verbesserten immerhin seine Konzentrationsfähigkeit. «Aus jeder Situation kann man etwas Positives machen», meint er. Sein Glas sei «immer halbvoll, mindestens.» Er habe einen tollen Job, engagiert sich bei einem tollen Verein und hat eine tolle Familie. «Durch die Krankheit durfte ich viel Wertschätzung erfahren. Ein Beispiel: Die Spieler des FC Mutschellen haben mich jeweils sehr gerne mit dem Auto abgeholt und mich zu den Trainings oder Auswärtsspielen mitgenommen. Das hat mich enorm gefreut. Ich habe gelernt, Hilfe anzunehmen und dankbar zu sein», wie er sagt. Um ihn herum sei «pures Glück». Angst hat er keine. «Es gibt genug Dinge, um die man sich auf der Welt Sorgen machen sollte, da muss ich nicht auch mitmachen», meint er lachend. «Positiv denken hat noch nie geschadet.»

Das Testament ist gemacht

Der Tod ist für ihn mittlerweile etwas, worauf er sich vorbereitet hat. «Alle grossen Pendenzen sind so gut es geht erledigt, das Testament ist gemacht, die Heizung im Haus wird ersetzt», sagt er – mit erfrischendem Schalk. «Egal, wann das Spiel des Lebens abgepfiffen wird, ich kann behaupten, dass ich ein wunderschönes Leben gehabt habe.»

Während in wenigen Tagen der Befund seines Krebses diagnostiziert sein wird, philosophiert Mauberger lieber über den FC Mutschellen und die 2.-Liga-Rückrunde, die aktuell startet. «Wir geben alles, damit wir nicht absteigen. Es wird nicht einfach, aber spannend. Ich freue mich.»

An diesem sonnigen Tag Ende Februar ist die Stimmung gedrückt. «Das Warten ist schlimm. Die Angst, dass wieder etwas ist, erdrückt», sagt seine Frau Susanna. Jürg Mauberger meint: «Probleme sind zum Lösen da. Und nicht zum Davonlaufen. Egal wie die Diagnose ist, wir werden es schaffen.»

Dann kommt der Befund

27. Februar. Der Befund ist da. Die beiden Metastasen in den Lungenflügeln sind gleich gross geblieben (3 und 4 Millimeter). Sie sind nicht gewachsen. «Das ist positiv.» Weil Mauberger eine Corona-Infektion hatte, könnte es sogar sein, dass es kein Krebs ist, sondern Vernarbungen in der Lunge. In drei Monaten muss er nochmals untersucht werden. «Wenn das Ergebnis so bleibt, heisst das, dass es kein Krebs ist. Wir sind happy.» Diese Nachricht ist positiv überraschend. Ein kleines Wunder.

Mauberger geht mit seiner Frau Susanna Mitte März in den Urlaub. Vom Kreuzfahrtschiff in Abu Dhabi schickt er eine Sprachnachricht. «Uns geht es wunderbar. Wir geniessen unsere Ferien mit guten Freunden. Alles bestens.»

Die nächste Krebsuntersuchung folgt in einigen Wochen. Sicher ist: Er wird es mit bewundernswert positiver Kraft angehen, egal wie die Diagnose lauten wird. Dieser Jürg Mauberger ist mit einer unglaublich positiven Einstellung zum Leben gesegnet, die man als Wunder bezeichnen kann. Er ist ein Wundermensch.


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